Nach der Ausbreitung neuer Virusvarianten hat Deutschland die Regeln für die Einreise aus mehreren EU-Staaten erneut verschärft. Stationäre Kontrollen an der Grenze zu Tschechien und Tirol sollen in der Nacht von Samstag auf Sonntag eingerichtet werden, sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am Freitag in München. Nach Angaben der Bundesregierung dürfen ab Sonntag aus Tschechien und weiten Teilen von Tirol in Österreich nur noch Deutsche, Ausländer mit Wohnsitz und Aufenthaltserlaubnis in Deutschland, landwirtschaftliche Saisonarbeitskräfte und Gesundheitspersonal einreisen. Tschechien und Tirol gelten seit Donnerstag als Virusmutationsgebiete.
«Wir sind für ein freies Europa», aber in der Pandemie müsse die Sicherheit oben stehen, erklärte Söder. Der Schutz der Grenzen und ein Einreiseverbot für Menschen ohne negativen Corona-Test seien ganz entscheidende Schutzmaßnahmen. «Wir brauchen diese Sicherheit.» Für die vielen Berufspendler über die Grenzen kündigte er eine «praxisnahe Lösungen» an.
Wie das Bundesinnenministerium am Freitag weiter ausführte, dürfen auch Ehepartner, eingetragene Lebenspartner, minderjährige Kinder und Eltern minderjähriger Kinder kommen, allerdings nur, wenn sie gemeinsam mit dem deutschen Angehörigen die Grenze passieren. Auch Lastwagenfahrer und sonstiges Transportpersonal im Güterverkehr sind von dem Verbot ausgenommen. Außerdem sollen Einreisen aus dringenden humanitären Gründen – etwa bei einem Todesfall – erlaubt sein. Auch in den Ausnahmefällen gelten Test- und Quarantänebestimmungen.
Rund 45 000 in Deutschland sozialversicherungspflichtig Beschäftigte hatten zuletzt ihren Wohnsitz in Tschechien oder Österreich, wie die Bundesagentur für Arbeit (BA) am Freitag auf dpa-Anfrage mitteilte. Nach der jüngsten BA-Statistik von Ende Juni arbeiteten in Bayern 22 000 Tschechen und 9600 Österreicher.
Die Österreicher – wie viele davon in Tirol lebten, geht aus der Statistik nicht hervor – arbeiteten demnach vor allem im verarbeitenden Gewerbe, im Gesundheits- und Sozialwesen, in Autowerkstätten, im Verkehr und in der Lagerei. Viele pendeln dafür in die Grenz-Landkreisen Altötting und Berchtesgadener Land.
Die Arbeitskräfte aus Tschechien sind laut Bundesarbeitsagentur vor allem im Dienstleistungssektor eingesetzt. Aber auch der Bau, das Gastgewerbe, das Gesundheits- und Sozialwesen setzt auf tschechische Mitarbeiter. Mit 4200 verdienten besonders viele Tschechen ihr Geld im bayerischen Grenz-Landkreis Cham, erst mit weitem Abstand gefolgt vom Landkreis Tirschenreuth.
Die Industrie- und Handelskammer (IHK) in der Grenzregion warnte am Freitag vor einer faktischen Grenzschließung. «Gerade in der Grenzregion zu Tschechien sind die Infektionszahlen momentan hoch. Wenn in den Krankenhäusern dort das Personal wegbricht, wäre das schon sehr bitter», sagte Peter Belina von der IHK für Oberfranken.
Im schlimmsten Fall müssten einzelne Pflegeeinrichtungen und Betriebe ganz schließen, so die Befürchtung der IHK. Die Deutsche Bahn stellte nach eigenen Angaben den Fernverkehr nach Tirol und Tschechien schon bis auf weiteres ein.
Die EU-Kommission forderte Deutschland dazu auf, Ausnahmen für Pendler zu gewähren. Ein Sprecher der Behörde erinnerte am Freitag daran, dass die EU-Staaten sich erst kürzlich auf gemeinsame Empfehlungen für das Reisen in Corona-Zeiten geeinigt hätten. Grenzschließungen und pauschale Reiseverbote sollten vermieden werden. Vertreter tschechischer Berufspendler verlangten finanzielle Hilfen von Deutschland, falls Arbeitskräfte nicht mehr über die Grenze fahren dürfen oder von der Situation überfordert sind.
Tschechien galt ohnehin schon als sogenanntes Hochinzidenzgebiet. Pendler und Reisende aus Tschechien müssen seit Ende Januar an der Grenze einen negativen Corona-Test vorlegen, der höchstens 48 Stunden alt sein darf. Seit Ende dieser Woche dürfen Pendler in der bayerischen Grenzregion nur noch direkt zur Arbeit und wieder nach Hause fahren. Ein Stopp beim Supermarkt auf dem Heimweg ist also nicht mehr erlaubt.
Auch für Bayern sind Einkaufs- und Tankfahrten nach Tschechien schon länger verboten. Ende Januar hatte die Regierung in Prag einen fast völligen Einreisestopp für Ausländer verhängt. Berufspendler sind vom Einreiseverbot und der Testpflicht ausgenommen. Sie müssen aber den Arbeitsvertrag und ein spezielles Formular dabei haben.
Die Einreise aus Österreich nach Bayern geht bisher nur mit vorheriger Registrierung und negativem Testergebnis. Ein- und ausreisende Pendler müssen sich einmal die Woche testen lassen. Arbeiten oder leben sie in einem Virusvariantengebiet, müssen sie schon nach den bisherigen Regeln ebenso wie Touristen zehn Tage in Quarantäne. Die Ausreise aus Tirol ist seit Freitag generell nur mit einem maximal 48 Stunden altem, negativen Testergebnis möglich, für Pendler gibt es keine Ausnahme.
Die Einreise nach Österreich ist ebenfalls erschwert: Reisende müssen sich elektronisch registrieren, einen negativen Test vorlegen, der nicht älter als 72 Stunden ist, und können sich frühestens nach fünf Tage aus der zehntägigen Quarantäne «freitesten». Pendler müssen sich nur einmal die Woche testen lassen. Als Pendler zählen beispielsweise auch Menschen, die regelmäßig Verwandte besuchen, oder Studierende.
Schon jetzt würden in Bayern bei deutlich mehr als zehn Prozent der Infizierten Mutanten festgestellt – mehr als doppelt so viel wie insgesamt in Deutschland, sagte der Münchner Infektiologe Clemens Wendtner. Er warnte vor allem vor einem Einschleppen der gefährlichen südafrikanischen Coronavirus-Variante aus Tirol. Das sei nur mit einem strikten Vorgehen an der Grenze zu verhindern, sagte der Chefarzt für Infektiologie an der München Klinik Schwabing. Wenn lückenlose Kontrollen nicht funktionierten, bleibe nur eine Schließung der Grenzen.
Die britische Variante hat wiederum in einigen ostbayerischen Regionen bei Pendlern aus Tschechien bereits die Oberhand gewonnen. Der Anteil der Mutanten an den positiven Fällen liegt dort laut Wendtner teilweise schon bei über 40 Prozent.
Tschechien ist stark von der Corona-Pandemie betroffen, Sorgen bereitet den Behörden die ansteckendere britische Variante. Am Freitag meldete das dortige Gesundheitsministerium 8916 neue Fälle binnen 24 Stunden.
Auch in der bayerischen Grenzregion zu Tschechien sind die Zahlen im Vergleich zu anderen Regionen im Freistaat besonders hoch. Nach einer Studie im Landkreis Wunsiedel besteht bei 65,5 Prozent der positiven Tests der Verdacht auf die Mutation aus Großbritannien – bei mehr als zwei Dritteln davon handelte es sich um die Tests tschechischer Staatsbürger.
Noch nicht erhöht sind die Werte an der südlichen bayerischen Landesgrenze zum österreichischen Bundesland Tirol, wo die südafrikanische Virusvariante grassiert.