Erstmals seit Ende Dezember hat das Robert Koch-Institut (RKI) eine niedrigere bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz als am Vortag mitgeteilt – wobei die Aussagekraft der Daten derzeit eingeschränkt ist. Das RKI gab den Wert der Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner und Woche am Sonntagmorgen mit 1466,5 an. Am Vortag lag der Wert noch bei 1474,3. Es ist schwer zu beurteilen, ob sich damit ein Plateau der Omikronwelle andeutet und der rasante Anstieg bei den Ansteckungen in Deutschland gebremst ist. Es könnte auch sein, dass der Inzidenzrückgang nicht das tatsächliche Infektionsgeschehen widerspiegelt, sondern Folge eines überlasteten Melde- und Testsystems ist.
Eine Rolle könnte unter anderem auch spielen, dass einige Menschen ihren positiven Selbst- oder Schnelltest nicht mit einem PCR-Test abklären lassen. Sie tauchen dann nicht in der Statistik auf. Vor einer Woche hatte die bundesweite Inzidenz bei 1400,8 (Vormonat: 427,7) gelegen. Die Gesundheitsämter in Deutschland meldeten dem RKI binnen eines Tages 125 160 Neuinfektionen, das sind etwas weniger als vor einer Woche mit 133 173 Ansteckungen.
Das leichte Sinken der Inzidenz könne ein erstes unsicheres Zeichen für den erwarteten Umschwung sein, sagte Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen. „Bevor das auf sicheren Beinen steht, müssen aber mindestens acht bis zehn Tage vergehen.“ Die geringere PCR-Testhäufigkeit könne eine gewisse Rolle bei den Daten spielen. Ein schneller Abfall der Inzidenz-Kurve sei jedenfalls nicht zu erwarten. „In Analogie zu anderen Ländern ist mit einem Abflachen und dann allmählicher Umkehr vielleicht in den kommenden zwei bis drei Wochen zu rechnen.“
Für Bayern meldete das RKI am Sonntag mit 1798,3 die höchste Inzidenz aller Bundesländer. Obwohl die Inzidenz dort seit Kurzem sinkt, sieht der Corona-Experte Clemens Wendtner die Pandemie noch nicht über den Berg. „Den aktuellen Rückgang in den Zahlen würde ich auf Meldeverzug und die limitierten Kapazitäten bei PCR-Tests zurückführen“, sagte der Chefarzt der Infektiologie an der München Klinik Schwabing der Deutschen Presse-Agentur. Und selbst wenn der Höhepunkt der Neuinfektionen erreicht werde, sei damit das Infektionsgeschehen noch nicht vorbei: „In der Regel dauert es noch zwei bis drei Wochen, bis die Patienten zu uns kommen“, sagte der Klinikarzt und warnt: „Es bringt jetzt nichts, eine massive Öffnungsdebatte vom Zaun zu brechen. Das führt in den Kliniken nicht zu Begeisterung, weil wir diejenigen sind, die das zum Schluss auffangen müssen.“
Für Schleswig-Holstein, dessen ohnehin wesentlich kleinere Inzidenzen von Dienstag mit 885,5 auf Sonntag mit 758,6 deutlich gesunken sind, hält der Kieler Virologe Helmut Fickenscher dagegen weitere Lockerungen der Corona-Maßnahmen für möglich. Ein genereller Wegfall der Beschränkungen wie im Nachbarland Dänemark sei derzeit aber nicht sinnvoll. „Vieles deutet darauf hin, dass der Höhepunkt der Omikron-Welle in Schleswig-Holstein und wenigen anderen norddeutschen Ländern überschritten ist“, sagte der Leiter des Instituts für Infektionsmedizin der Universität Kiel der Deutschen Presse-Agentur. Nach RKI-Angaben war Schleswig-Holstein am Sonntag das Bundesland mit der niedrigsten Sieben-Tage-Inzidenz.
Fickenscher sieht die Klinik-Situation in Schleswig-Holstein positiv: „Die verschiedenen Parameter zur Krankenhaus-Belastung und zur Schwere der Erkrankungen sind eher rückläufig.“ Entgegen den Befürchtungen seien diese nicht mit der sogenannten Omikron-Wand angestiegen oder gar explodiert. „Es ist zu erwarten, dass die Epidemie massiv zurückgehen wird, wenn es tatsächlich wärmer wird. Wann das konkret der Fall sein wird, bleibt noch offen. Da ist der Optimismus der Politik etwas zu groß. Der Sommer beginnt halt noch nicht im März.“
In Deutschland war die Zahl der in Kliniken gekommenen Corona-infizierten Patienten je 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen zuletzt gestiegen. Das RKI hatte sie am Freitag mit 6,46 angegeben (Donnerstag: 6,23). Darunter können jedoch auch Menschen mit positivem Corona-Test sein, die eine andere Haupterkrankung haben. Am Wochenende gibt es keine neuen Zahlen dazu.
Zudem wurden laut RKI binnen 24 Stunden 58 Todesfälle verzeichnet. Vor einer Woche waren es 41 Todesfälle. Das RKI zählte seit Beginn der Pandemie 12 344 661 nachgewiesene Infektionen mit Sars-CoV-2. Die tatsächliche Gesamtzahl dürfte deutlich höher liegen. Die Zahl der Menschen, die an oder unter Beteiligung einer nachgewiesenen Infektion mit Sars-CoV-2 gestorben sind, stieg auf 119 935. (dpa)