Bestatterverband kritisiert «Schwarze Schafe» unter den Krematorien

Gestapelte Holzsärge in einer Andachtshalle, manche von ihnen nur notdürftig in Plastikfolie eingewickelt, andere im Gang stehend – einzelne Krematorien gingen zu Beginn des Jahres ob der hohen Auslastung fast in die Knie. «Wir erleben nur wie ein paar schwarze Schafe ihre Arbeit nicht richtig machen», schätzt Wolfgang Ruland, Obermeister der Bestatterinnung in Sachsen-Anhalt, solche Zustände ein. Überlastungsprobleme in den Krematorien seien «unmöglich und eher hausgemacht». Wenn sich in einem Krematorium die Verstorbenen stapelten, dann liege das daran, dass man die Hilfe von anderen Krematorien nicht annehme, sagt Ruland, der selbst als Geschäftsführer für ein Krematorium in Schönebeck (Salzlandkreis) tätig ist.

In Deutschland gebe es rund 130 Krematorien mit durchschnittlich zwei Öfen, rechnet Ruland vor. «Wenn die rund um die Uhr an 365 Tagen laufen würden, könnte man anderthalb bis 1,8 Millionen Verstorbene einäschern. Wir haben in Deutschland aber etwa nur 650 000 Einäscherungen im Jahr, der Rest sind Erdbestattungen.» Es gebe also jede Menge Kapazitäten, auf die Krematorienbetreiber zurückgreifen könnten.

Doch warum sollten die Krematorien auf diese Hilfe verzichten? Jedes Krematorium sei in erster Linie ein Wirtschaftsbetrieb, betont Ruland. «Es arbeitet wirtschaftlich, wenn die Öfen technisch okay sind und wenn die Anzahl der Verstorbenen stimmt.» Je höher die Auslastung, desto höher also auch der erzielte Gewinn. «Demzufolge kann ich mir vorstellen, dass jemand ungern etwas abgibt – auch wenn er der Sache nicht Herr wird.»

Zur Wahrheit gehöre allerdings auch, so Ruland, dass etwa die Hälfte der Krematorien in Deutschland in kommunaler Hand liegen – also nur bedingt wirtschaftlichen Zwängen unterworfen sind. Sie hätten wiederum nach Ansicht des Bestatters Schwierigkeiten, bei einer höheren Sterblichkeit den Betrieb adäquat anzupassen. «Die Städte haben meist keinen müden Euro, um auch noch eine Überstunde an ihre Mitarbeiter zu bezahlen. Allein daraus ergibt sich, dass man nicht rund um die Uhr arbeitet oder am Wochenende oder gar am Feiertag, wo man noch einen Zuschlag bezahlen müsste.»

Im vergangenen Dezember waren in Sachsen Anhalt deutlich mehr Menschen gestorben als im Dezember-Durchschnitt der vergangenen vier Jahre. Vorläufige Daten des Statistischen Landesamtes vom Freitag zeigten zum Jahresende 31 Prozent mehr Todesfälle als im Durchschnitt der jeweiligen Dezember 2016 bis 2019. Damit markierte der Dezember die höchste Übersterblichkeit im Pandemiejahr 2020 in Sachsen-Anhalt.

Die hohe Sterblichkeit zeige sich auch in einem Krematorium in Halle, in dem «Mitarbeiter genau wie die Technik am Limit liefen» und sich die Termine für eine Einäscherung deutlich verzögerten, berichtete der MDR unter der Woche. In dieser hohen Auslastung sieht Geschäftsführer Michael Kriebel grundsätzlich kein Problem. «Es ist ja nicht so, dass wir das nicht schaffen», sagt er der Deutschen Presse-Agentur. Der Betrieb könne lediglich dem eigenen Anspruch, die Toten binnen 48 Stunden nach Ankunft einzuäschern, nicht genügen. Der Geschäftsführer sprach von bis zu sieben Arbeitstagen, die zwischen der Ankunft eines Verstorbenen und dessen Einäscherung vergehen könnten.

Die Landesregierung müsse einen Auge auf Betriebe werfen, die ihrer Aufgabe nicht mehr sachgerecht nachkämen und im Notfall einschreiten, fordert Wolfgang Ruland. «E müsste gesagt werden: Stopp! Jetzt mal bitte woanders hin! Damit ihr dem Bestattungsgesetz Folge leistet.» Laut Bestattungsgesetz in Sachsen-Anhalt soll die Einäscherung innerhalb der ersten zehn Tage nach Todeseintritt vorgenommen werden.

«Auch wir hatten die letzten dreieinhalb Wochen richtig viel zu tun – überdurchschnittlich viel», blickt Ruland zurück. Doch ähnliche Situationen habe es auch vor der Pandemie gegeben. Im Frühjahr 2018 sei die Auslastung durch eine Grippewelle höher gewesen als im Moment. «Wir erleben nichts Neues.»